Champagne Jacquesson

Jacquesson bildet die Brücke zwischen den großen Marken und den Winzer geprägten Champagnerhäusern. Die Philosophie des Hauses fasst Besitzer Jean-Hervé Chiquet so zusammen: "Jahrgangs-Champagner mit Reserveweinen". Die kompromisslose Qualitätsorientierung und das großartige Terroir der Rebflächen haben Jacquesson in die absolute Elite der Champagne aufsteigen lassen.

68 rue du Colonel Fabien | F-51530 Dizy | Frankreich |

Über Champagne Jacquesson


Jean-Hervé Chiquet ist ein großer Weinliebhaber und bezeichnet sich selbst als Genussmenschen. Kein Wunder also, dass er die großen Burgunder liebt und seit vielen Jahren auch eine kleine Allokation an Weinen der Domaine de la Romanée Conti bezieht. Sein persönlicher Favorit ist dabei der La Tâche. Auch sein eigenes Champagnerhaus führt er mit dem gleichen Anspruch wie die berühmten Domainen an der Côte d'Or. Vor 27 Jahren (1988) übernahmen er und sein Bruder Laurent Chiquet die Leitung des Hauses Jacquesson vom Vater - nach "harten Verhandlungen". Ein Controller sei der Vater gewesen, mehr an den Zahlen als an den Trauben und Champagnern interessiert. Der Vater hatte das Haus mit 200-jähriger Tradition 1974 erworben und nach Dizy verlegt, um die Wege von den Weinbergen zum Keller zu verkürzen. Zu erwähnen ist natürlich auch, dass in der Zeit nach der Gründung des Hauses 1789 durch Memmie Jacquesson ein gewisser Johann-Joseph Krug bei Jacquesson das Champagner-Handwerk lernte.

Irgendwie haben die beiden Brüder Chiquet den Kampf mit dem Vater gewonnen und das Haus übernommen. Was folgte war nicht weniger als eine komplette Neuausrichtung des traditionsreichen Gutes. 1988 umfasste der eigene Besitz gerade einmal 15 ha, weitere 30 ha wurden dazu gepachtet. Aus diesen Flächen produzierte man 450.000 Flaschen Champagner. Heute besitzt man 28 ha selbst und pachtet noch 8 ha dazu, darunter viele Grand Cru und Premier Cru Lagen. Die Jahresproduktion wurde auf ganze 250.000 Flaschen gesenkt. Ziel der Brüder ist es, nur zwei Kunden zufrieden zu stellen: sich selbst!


Jean-Hervé Chiquet verbindet Charisma mit kompromisslosem Willen zur besten Qualität.

Eine weitere Maxime von Jean-Hervé Chiquet ist es, jeden Schritt im Weinberg und im Keller so auszuführen, als ob ihm ein Kunde dabei zusehen würde. Bei Jacquesson gibt es keine Geheimnisse und keine Tricks, alles ist offen und transparent. Entsprechend viel Zeit nimmt sich Jean-Hervé Chiquet für seine Gäste, verzichtet auf eine Kellerführung ("da sieht man sowieso nur Flaschen rumliegen") und nimmt uns mit in den blitzsauberen und perfekt organisierten Betrieb. Zunächst aber geht es in den Weinberg direkt vor dem Haus. Die Champagne sei eine Region, in der Feuchtigkeit und somit Fäulnis das größte Problem darstellt. Dem Laubmanagement und der notwendigen Durchlüftung der Rebzeilen kommt damit eine überragende Rolle zu. Hinzu kommt der Bodenaufbau, der unterschiedliche Qualitäten in Bezug auf das Wassermanagement aufweist. Unter rigoroser Selektion bereits am Rebstock gilt es, das bestmögliche Traubenmaterial zu ernten. Eine biologische Bewirtschaftung ist selbstverständlich, auf eine Zertifizierung verzichtet man bei Jacquesson aber - wie so viele andere Weingüter auch. Das Risiko von unkalkulierbaren Rückschlägen ist einfach zu groß.

Gleich anschließend geht es in das Kelterhaus auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Wir passieren zahlreiche große Eichenfässer und beginnen mit dem Pressen der angelieferten Trauben. Diesem Prozess misst man aller größte Bedeutung bei und Jacquesson presst alle seine Trauben selbst. Nur so wird eine maximal schonende Pressung unter Vermeidung von zu großen Bewegungen der Trauben erreicht. Unbedingt vermieden möchte man eine Extraktion von unreifen Tanninen aus den Stilen, die hier am 49. Breitengrad selten ausreifen. Drei Vertikalpressen mit traditionellen Holzkörben stehen hierfür zur Verfügung. Pro Pressung werden exakt 2.050 Liter Traubensaft abgezogen. Vor- ("eau") und Nachlauf ("tailles") verwendet Jacquesson nicht. Der verwendete Traubensaft fließt ohne Pumphilfe direkt in die Fermentationstanks unter der Presse, auf eine Chaptalisierung wird grundsätzlich verzichtet. Nach der spontan initiierten Vergärung wird der Wein in 45 bis 70 hl große Holzfuder überführt. Auf einen Abzug wird auch verzichtet, der Wein bleibt auf der Hefe liegen, die sich natürlich absetzt. Die Flaschenfüllung erfolgt nach rund einem Jahr Ruhe im Holzfass. Nach der Flaschengärung bleiben die unfiltrierten Champagner noch zwischen dreieinhalb und viereinhalb Jahren auf der Hefe liegen, bevor sie abgefüllt und nach einer weiteren Ruhephase vermarktet werden.



So sieht ein perfekter Champagner-Keller aus.

Bis zu diesem Punkt unterscheidet sich das Haus Jacquesson noch nicht wesentlich von anderen Spitzenbetrieben. Was aber hier völlig einzigartig ist, ist die Zusammensetzung der Cuvée, die einer Jahrgangscuvée, ergänzt um einige Reserveweine, entspricht. Jacquesson sucht damit nicht die Homogenität eines für das Haus typischen Champagnerstils, sondern betont stets den Jahrgangscharakter seiner Produkte. In dem Bestreben, den jeweils bestmöglichen Champagner herzustellen, verzichtet man aber auf ein reines Vintage-Konzept. In dieser Logik war es auch nur konsequent, mit dem Jahrgang 2002 den letzten Vintage-Champagner zu präsentieren, denn nur Trauben eines einigen Jahrgangs zu verwenden ergibt eben nicht das optimale Resultat. Im Falle des großen Jahrgangs 2002 ist dies allerdings ein Luxusproblem. Wen es interessiert: Jacquesson produzierte folgende Millesime Champagner: 1988, 1989, 1990, 1996, 1997, 2000 und eben 2002. Jacquesson verfolgt bei der Dosage ein einfaches und sehr pragmatisches Ziel: dem Champagner zur bestmöglichen Balance zu verhelfen. Dazu füllt man fünf Flaschen ab: eine ohne Dosage, eine mit maximaler Dosage und drei Zwischenwerte. Die anschließende Verkostung bildet die Grundlage für die Auswahl.

Mit dem Einstieg in dieses neue System suchte man auch nach einem neuen Bezeichnungssystem für die Champagner. Gewählt wurde ein numerisches System mit Bezug auf die Jahreszahlen ohne diese direkt zu nennen. Man verwendete die interne technische Nummer 728 für den Basischampagner des Jahres 2000. Seit dieser Zeit werden die Nummern jedes Jahr um einen Zähler erhöht. In 2015 wird mit der Nummer 738 ein Champagner angeboten, der auf dem Jahrgang 2010 basiert. Wie stark die Charakteristik der Jahrgänge differiert, zeigt ein Vergleich der Nummer 737 und 738. Während der 737 aus dem warmen Jahrgang 2009 ein voller, reichhalitiger und fruchtbetonter Champagner ist, bleibt der säurebetonte 738 mit hohem Chardonnay-Anteil feingliedrig und mineralisch-salzig. Die Umstellung der Philosophie des Hauses war durchaus riskant und die Kunden verstanden zunächst die neue Logik nicht. Fast alle Kunden hatten die Brüder Chiquet so verloren, viele neue aber auch rasch wieder gewonnen. Stolz berichtet Jean-Hervé Chiquet, dass es sogar Kunden gäbe, die von jeder Nummer seit dem 728er mindestens noch einen Karton im Keller haben.


Die in 2015 aktuellen Jahrgänge von Jacquesson: 738 (Basis 2010) und 733 Dégorgement Tardif (Basis 2005).

Wie andere Champagnerhäuser auch bietet Jacquesson zusätzlich Champagner aus der 700er Serie an, die wesentlich länger auf der Hefe gelagert wurden. Nach etwa acht bis neun Jahren der Lagerung werden diese "Dégorgement Tardif" genannten Champagner vermarktet. Durch den langjährigen Hefekontakt findet ganz langsam ein Autolyse genannter Zersetzungsprozess der Hefe statt, der die Intensität und Komplexität des Geschmacks verstärkt und dennoch die Frische des Champagners konserviert. Zudem bleibt dem Champagner viel mehr Zeit zur Reifung, bevor er dem oxidativen Schock des Degorgierens ausgesetzt wird. Es ist ein absolut faszinierendes Erlebnis, beide Qualitäten aus Jahrgängen mit ähnlichem Wetterverlauf nebeneinander zu verkosten. Für die DT Qualitäten werden etwa 15.000 Flaschen der 700er Serie reserviert.

Gilt die ganze Aufmerksamkeit des Hauses der Jahrgangs-Cuvée, so produziert man seit 2002 in sehr guten Jahren, in denen man die Trauben nicht alle zwingend für die 700er Cuvée benötigt, bis zu vier Lagenchampagner ohne die Zugabe von Reserveweinen, d.h. als reine Jahrgangschampagner. Zuvor wurden die drei Lagen in Avize zu einem Avize Grand Cru zusammengefasst (deklariert in 1989, 1990, 1995, 1996, 1997 und 2000). Die heute ausgewählten Einzellagen sind Dizy Corne Bautray und Avize Champ Caà¯n, beide mit Chardonnay bestockt sowie Aà¿ Vauzelle Terme und Dizy Terres Rouges, beide Pinot Noir Lagen. Bislang wurden nur in 2002 und 2004 alle vier Lagen-Champagner produziert.

Dieses Angebot klingt für Konsumenten etwas komplex, folgt aber konsequent dem Bestreben, die Typizität des Terroirs herauszuarbeiten - ganz in der Tradition des Burgunds. Dass diese Champagner mit 8.000 - 10.000 produzierten Flaschen sehr rar und speziell sind, versteht sich von selbst. Sie zu verkosten bietet Champagner-Kennern ein einzigartiges Erlebnis. Und doch betont Jean-Hervé Chiquet, dass diese Lagen ihr volles Potenzial nur als Champagner und nicht als Stillwein entfalten. Das sei eben das Besondere der Champagne, man würde ja auch keinen Montrachet einer zweiten Fermentation unterziehen und daraus einen großen Champagner machen können.

Champagne Jacquesson ist sicher kein Mainstream-Champagner, aber eben auch kein Haus ausschließlich für die waschechten Freaks. Die Produkte des Hauses überzeugen durch ihre geradlinige und schnörkellose Interpretation des Jahrgangs, ohne die zwangsläufigen Kompromisse der reinen Vintage-Champagner. Balance und Komplexität stehen hier im Vordergrund mit einer betonten schlanken Säure. Die Champagner wirken nie fett sondern komplex und tiefgründig. Der Fruchtansatz ist nicht vordergründig, sondern profund und präzise. Ein in jeder Hinsicht faszinierendes, einzigartiges Konzept aus einem faszinierenden Champagnerhaus, das seinen Platz unter den Großen der Region heute gefunden hat. Und offensichtlich gibt es neben den Brüdern Chiquet auch noch ein paar fanatische Kunden, denn die relativ geringe Produktion ist stets schnell ausverkauft.