"Great wines are like listening to Mozart"

02. Dezember 2015English



Nur 18 Jahre nach dem Ende des zweiten Burenkriegs kam May-Eliane Miailhe 1925 in Bordeaux auf die Welt. Es dauerte acht Jahrzehnte ihres Lebens, bis es die Rahmenbedingungen in Südafrika zuließen, dort wieder Spitzenweine anzubauen. Im Alter von 78 Jahren erwarb sie im Herzen von Stellenbosch eine Farm und gründete dort ein neues Weingut. In der Zeit dazwischen liegt ein erfülltes und an schicksalshaften Veränderungen reiches Leben, in dem sie die Entwicklung des Bordelaiser Weinbaus maßgeblich beeinflusste. In einem sehr persönlichen Gespräch mit weinrouten.de wurden die Lebenslinien der „Grande Dame“ des Bordeaux-Weins sichtbar.


Es gibt zahllose Menschen, die viel reden, aber es gibt wenige Menschen, die auch etwas zu sagen haben. May-Eliane de Lencquesaing gehört zu der zweiten Gruppe. Mittlerweile ist die „Grande Dame“ des Bordeaux-Weins 90 Jahre alt und hat in dieser Zeit unglaubliche Umwälzungen miterlebt. Wenn man bedenkt, dass der moderne Weinbau des Bordelais etwa 300 Jahre zurückreicht, dann überblickt sie fast ein Drittel dieser Zeitspanne. Und die ersten Jahrzehnte waren keinesfalls einfach.

Jugendjahre


May-Eliane de Lencquesaing ist eines von drei Kindern von Edouard Miailhe und Victoria-Charlotte Desbarats und stammt damit aus einem der bedeutendsten Negociant-Häuser von Bordeaux. Ihr Vater Edouard und sein Bruder "Onkel Louis" betrieben aber nicht nur ein großes Weinhandelshaus, sondern besaßen auch wesentliche Anteile an acht Châteaux, darunter so berühmte wie Château Palmer, Château Ducru Beaucaillou, Château Pichon Lalande, Château Coufran oder Château Citran. Aber die Zeiten ihrer Jugend waren wirtschaftlich sehr schwierig. Europa litt zuerst noch an den Auswirkungen des 1. Weltkriegs, Märkte außerhalb Europas gab es praktisch noch nicht und die sehr schlechten Ernten der 1930er Jahre brachten viele Weingüter in eine zunehmend prekäre Lage. Die Familie war trotz oder wegen des großen Besitzes sehr arm, denn je mehr Weingüter man besaß, umso schwieriger wurde es, profitabel zu wirtschaften.

May-Eliane de Lencquesaing erinnert sich, dass man kaum Essen kaufen konnte und von dem Leben musste, was die eigene Landwirtschaft hergab, deren Flächen stets in Konkurrenz zu den notwendigen Rebflächen stand. Ende der 1930er Jahre folgten dann die Katastrophe des 2. Weltkriegs und die Besetzung zahlreicher Güter durch die Deutschen. Kaum war der Krieg zu Ende, wurde Bordeaux 1945 von einem Jahrhundertjahrgang verwöhnt und auch versöhnt. Doch niemand wollte und konnte diese Weine kaufen, Europa lag wirtschaftlich am Boden. Die Wende kam erst in den 1950er Jahren mit dem erwachenden Interesse Amerikas an den feinen Weinen aus Bordeaux, zudem konnten in diesem Jahrzehnt einige bis heute legendäre Jahrgänge geerntet werden. Doch diesen Aufschwung durfte Edouard Miailhe nicht mehr erleben, er starb mit kaum über 60 Jahren 1959 an einer schweren Krankheit, kurz zuvor wurden die gemeinsamen Unternehmungen mit seinem Bruder zwischen den beiden Familien aufgeteilt.

Die Jahre an der Seite eines französischen Offiziers


May-Eliane de Lencquesaing hatte im Jahr 1948 Hervé de de Lencquesaing, einen jungen Adeligen aus dem Norden Frankreichs geheiratet, der 1920 geboren, in die Wirren des 2. Weltkriegs gezogen und mehrfach verwundet wurde. Dennoch blieb er nach dem Krieg beim französischen Militär und machte eine Karriere bis in den Rang eines Generals. Seine Frau May-Eliane folgte ihm in den kommenden 30 Berufsjahren fernab von Bordeaux und zog mit ihm und den mittlerweile vier Kindern 15 Mal um, unter anderem verbrachte die Familie auch einige Jahre in den USA. May-Eliane de Lencquesaing beschreibt diese Zeit prägnant mit „mein Beruf waren meine vier Kinder“. Was ihr an Zeit an den vielen verschiedenen Standorten übrig blieb widmete sie sich mit viel Hingabe sozialen Projekten, bei denen meist Kinder im Vordergrund standen.

In den 1970er Jahren konnte die Familie aber im Norden Frankreichs Fuß fassen und heimisch werden, Hervé de Lencquesaing trat 1974 in den Ruhestand. May-Eliane de Lencquesaing begann, sich intensiv politisch zu betätigen und wurde in das städtische Parlament im Departement Pas-de-Calais an der Grenze zu Belgien gewählt. „Ich war sehr Links“ betont sie und stellt unmittelbar klar, dass sie von den Sozialisten gewählt wurde und sich diesen Wählern und den armen Menschen auch immer nah und verpflichtet fühlte, ihre Distanz zu den „reichen Leuten“ immer sehr groß war - „dort war mein Platz!“.

Die scheinbare Stabilität in ihrem Leben aber war trügerisch, denn seit dem Tod des Vaters führte ihr Bruder William-Alain die Geschäfte der in der Familie verbliebenen Weingüter – und diese liefen immer schlechter. Es war das Resultat aus einer Kombination aus jugendlicher Unfähigkeit und auch einem gewissen Desinteresse und binnen eines guten Jahrzehnts waren die Geschäfte in desolatem Zustand. 1971 wurde seine Führung von Château Pichon Lalande beendet, die Firma geriet unter die Kontrolle von Anwälten und Zwangsverwaltung. 1978 schließlich entschieden die Anwälte, die Nachfolge der drei Kinder neu zu strukturieren und klare Verhältnisse zu schaffen. Sie teilen den verbliebenen Besitz in drei Teile, notierten diese auf jeweils einem Zettel und zogen in Anwesenheit der Erben die Lose selbst. May-Eliane de Lencquesaing erhielt Château Pichon Lalande!

Die Jahre auf dem Weingut Pichon Lalande


Für May-Eliane de Lencquesaing war diese Wendung ein Schock, denn sie wusste genau, dass sich nun ihr Leben komplett verändern würde. Sie eilte sofort nach Pauillac und war über den Zustand von Pichon Lalande entsetzt. Über zwei Jahre versuchte sie, ihr Leben zwischen dem Médoc und dem Ärmelkanal aufzuteilen, was mit einem Zusammenbruch aus Überlastung und im Krankenhaus endete. Es fiel ihr sehr schwer, ihr politisches Mandat in Pas-de-Calais aufzugeben und ganz nach Pauillac umzuziehen, während ihr Mann Hervé hier bedeutend offener reagierte.



Trotz aller ihr eigenen Energie, Disziplin und Entschlossenheit stellt sie trocken fest: „Ich war nicht in der Lage ein Weingut zu führen. Die Weinwelt hatte sich verändert, alles was ich noch wusste, stammte aus meiner Kindheit von meinem Vater“. So nahm sie im Alter von 55 Jahren an der Universität von Bordeaux ein Önologiestudium auf und begann damit, das Château mit allen Einrichtungen und Weinbergen von Grund auf zu sanieren. Typisch für May-Eliane de Lencquesaing war auch, dass sie entschied, dass die Familie in das Château einzieht, seit rund 200 Jahren war es erst das zweite Mal, dass ein Besitzer des Château ganzjährig auch selbst bewohnte. Sie ließ sich auch nicht von der Tatsache abbringen, dass man im ersten Winter ohne Heizung das Château bewohnte, denn seit 200 Jahren wurde hier auch nicht mehr renoviert. May-Eliane`s Vater konnte im Jahr 1926 die wirtschaftliche Schwäche der Vorbesitzer nutzen und eine Mehrheit an diesem hoch geachteten Weingut erwerben. May-Eliane de Lencquesaing gelang es nach der Übernahme, alle Anteile an Pichon-Lalande zu übernehmen.

Knapp 30 Jahre lang führte sie Pichon Lalande mit unglaublichem Erfolg. Ihre Weine stehen heute für feinste Bordeaux, deren Qualität oft genug an die der Premier Crus heranreicht. Ohne Widerspruch wird das Château mittlerweile als eines der sogenannten „Super-Séconds“ betrachtet, das bedeutet, es hat zwar den Rang eines Zweitgewächses, liegt in der Qualität aber über dieser Klasse.

Obwohl May-Eliane de Lencquesaing nie wirklich als Önologin tätig war zeichnet sie aus, dass sie eine sehr gute Hand bei der Auswahl und Zusammenstellung ihres Teams und eine klare Vorstellung von einem Spitzenwein hatte. Dieser muss sich durch die drei Dimensionen Eleganz, Balance und Langlebigkeit auszeichnen. Vor allem in Bezug auf die Fähigkeit, über viele Jahre auf der Flasche an Komplexität und Reife zuzulegen bemerkt sie energisch „Ich bestehe darauf!“. Das Mittel, um diese Dimensionen zu erreichen ist die Kunst der Assemblage, der Komposition der Zusammensetzung des Weins aus verschiedenen Rebsorten und Parzellen. So verwundert es kaum, dass sie kurz nachdem sie 1993 zur Präsidentin der IWSC (International Wine & Spirits Competition) in London gewählt wurde einen jährlich zu vergebenden Preis für die beste Cuvée stiftete. Bewertet wurde dabei stets durch blinde Verkostung und mehr als einmal ging der Preis an südafrikanische Weine.

May-Eliane de Lencquesaing vergleicht große Weine mit der Musik von Mozart. Einzelne Instrumente könnten zwar einen wunderbaren Klang hervorbringen, was ihnen fehlt ist aber die Vielschichtigkeit, die getragene Eleganz und Ausgewogenheit. Das ist bei einem großen Wein ähnlich, der seine volle Ausdruckskraft nur durch die optimale Cuvée von großartigen Einzelkomponenten aus Rebsorten, Bodenbeschaffenheiten und Mikroterroirs / Parzellen erhält. Diese Cuvée zu kreieren gleicht der Kunst des Komponierens einzelner Instrumente.

Bereits Mitte der 1970er Jahre zeichnete sich ein Qualitätssprung ab, 1975 und 1978 gelangen sehr gute Weine, die sogar im Fernen Osten große Aufmerksamkeit erhielten. Es folgte das erste goldene Jahrzehnt seit langer Zeit, eingeleitet durch den Jahrhundertjahrgang 1982 und fortgesetzt von weiteren Spitzenjahrgängen wie 1985, 1986, 1989 und 1990. Auch die Jahrgänge 1983 und 1988 waren mehr als bemerkenswert. Zudem entwickelte sich die Nachfrage in den USA äußerst positiv und May-Eliane de Lencquesaing konnte auf ihre vier Jahre Auslandserfahrung in den USA zurückgreifen. Unermüdlich bereiste sie Amerika und auch England, bis heute einem der wichtigsten Auslandsmärkte für Bordeauxweine. Ihre besondere Aufmerksamkeit genossen die zahlreichen Weinsammler und auch dies verfehlte seine Wirkung nicht. Dann vergab der junge Robert Parker für den 1982er Pichon Lalande die Traumnote von 100 Punkten, ein Ritterschlag für das ehrwürdige historische Château, der in den USA größte Beachtung fand.


Auszeichnung des Decanter-Magazins: Woman of the Year 1994

Die Jahre des neuen Abenteuers in Südafrika


1816 veröffentlichte André Jullien sein Epoche machendes Werk „Topographie de tous les vignobles connus”, in dem er alle Weine der Welt zusammentrug und in fünf Qualitätsklassen einteilte. May-Eliane de Lencquesaing betont die Bedeutung dieses Buches als erstem großen, umfassenden Werk über Wein. Die 1832 erschienene französische Neuausgabe erhielt von der französischen Akademie der Wissenschaften, deren langjähriges Mitglied May-Eliane de Lencquesaing heute immer noch mit großem Engagement ist, einen Statistik-Preis. May-Eliane de Lencquesaing verweist auf die Klassifikation des Anbaugebietes Stellenbosch in Südafrika, das von Jullien in die höchste Kategorie fünf eingruppiert wurde, gleichauf mit Bordeaux. Interessant ist übrigens auch, dass das Buch die erste je angefertigte Klassifikation der Châteaux in Bordeaux präsentierte, ganze 40 Jahre vor der Klassifikation von 1855. Und die Klassifikation von 1855 folgte in weiten Teilen der von André Jullien und ist für alle Premier Crus sowie einige 2ème und 3ème Crus wie Ducru Beaucaillou oder Cos d`Estournel sogar deckungsgleich.

Ihre persönliche Verbindung mit dem Land Südafrika datiert aus dem Jahr 1988, als sie sich einer kleinen Gruppe von acht Ehepaaren verschiedener Negociants und Weingutsbesitzer anschloss und in das Land reiste. Mitgereist war auch Henri Mähler-Besse und gemeinsam besuchte man die wichtigsten Produzenten, verkostete intensiv, machte sich Notizen – und staunte ob der hervorragenden Qualität der Weine. Die geknüpften persönlichen Beziehungen in die südafrikanische Weinbranche vertieften sich nach der Überwindung der Apartheid Anfang der 1990er Jahre. May-Eliane de Lencquesaing empfing regelmäßig Önologen aus Südafrika auf Pichon Lalande zum Austausch und vermittelte zudem einen engen Kontakt der Universität Bordeaux zur Universität von Stellenbosch, der wichtigsten Lehranstalt für Weinbau in Südafrika. Weitere Reisen nach Südafrika machten sie immer vertrauter mit den Potenzialen und auch Problemen des Weinbaus in Südafrika.

Letztlich aber war es Anton Rubert aus Stellenbosch, einer der erfolgreichsten südafrikanischen Unternehmer, aus dessen Aktivitäten u.a. die Luxusmarken-Holding Richemont (Cartier, Mont Blanc) hervorging, der May-Eliane de Lencquesaing motivierte, selbst in Südafrika zu investieren. Dabei betonte er die Bedeutung, dass sich Franzosen in der Region, in die vor langer Zeit viele Hugenotten aus Frankreich flohen, wieder engagieren. May-Eliane de Lencquesaing suchte aber eine kleine Farm, um sich angesichts ihres fortgeschrittenen Alters von 80 Jahren nicht zu überfordern. Und sie betont, dass es ihr sehr wichtig war, ihren insgesamt zehn Enkelkindern zu demonstrieren, dass es auch im Jahr 2003 noch echte Abenteuer gibt, für die es sich lohnt, sich zu engagieren.

Obwohl sie für die Suche nicht viel Zeit hatte und auf Pichon Lalande stark eingebunden war, wusste sie genau, was sie in Südafrika suchte: eine perfekt ausgerichtete Hanglage mit sehr gutem Wasserabzug und mit viel Sonnenexposition. Und sie wusste auch, dass solche Lagen in Stellenbosch sehr selten waren. Ein weiteres Kriterium erstaunt zunächst: es durfte kein bestehendes Weingut sein, denn die Reblausplage hatte auch Südafrika befallen und sie konnte es sich nicht leisten, die Rebstöcke herauszureißen, den Boden zu reinigen und neu anzupflanzen. Schnell fand sie die Farm Glenelly, eine Obstfarm, die nach der Reblausplage den Weinbau aufgegeben hatte. Sie verliebte sich sofort in dieses perfekte Stück Land, das nur einen Haken hatte: es war mit 120 Hektar Fläche viel zu groß. Da der Verkäufer drängte wurde der Kauf sehr schnell abgewickelt.

Sofort wurde das Team von Pichon Lalande eingeflogen und gemeinsam mit der Universität Stellenbosch alle notwendigen Bodenanalysen durchgeführt. 2004 bestockte man zunächst 60 ha mit den typischen Bordeaux-Rebsorten, ergänzt durch Chardonnay wegen seiner großen Tradition in Südafrika und Syrah, da Stellenbosch näher am Äquator liegt und das Klima wärmer ist als in Bordeaux. Der Aufbau des Weinguts Glenelly erfolgte parallel zu den Überlegungen, das geliebte Château Pichon Lalande zu verkaufen, da keines der vier Kinder an einer aktiven Fortführung interessiert war.

Die Jahre zwischen Stellenbosch und Bordeaux


Nachdem May-Eliane de Lencquesaing ihren Mann Hervé schon 1990 verloren hatte führte sie das Château über 15 Jahre lang alleine mit größtem Einsatz. Die Trennung von diesem Besitz muss ihr extrem schwer gefallen sein, da sie kaum über die Hintergründe sprechen möchte. Man spürt aber, dass sich einfach keine Perspektive der Fortführung in der Familie angedeutet hat. Zunächst zeichnete sich ein Verkauf an die Hermès-Familie ab, die immer noch die Mehrheit an dem Pariser Luxus-Modekonzern Hermès hält. Die Philosophie der Fortführung durch die Hermès-Familie wäre May-Eliane de Lencquesaing sehr entgegen gekommen, die Zukunft auch der alten Belegschaft gesichert gewesen. Allerdings kam dieser Verkauf nicht zustande und 2007 wurde Pichon Lalande an Frédéric Rouzaud, der in der 7. Generation das Champagnerhaus Roederer führt, verkauft. Der Verkauf an Roederer bedeutete für May-Eliane de Lencquesaing eine harte Zäsur, denn „Roederer änderte alles, hatte eine andere Philosophie“. Mittlerweile wurde das Weingut mit sehr viel Aufwand total umgebaut und die Wirtschaftsgebäude durch einen kompletten Neubau ersetzt.

Der Verkauf fällt auch in die Zeit, in der auf Glenelly sehr viel Geld in ein komplett neues Weingut investiert wurde. Was alle Investitionen nicht kaufen können ist die Zeit, die die Reben benötigen, um zu wachsen und tief in den Boden einzudringen. Seit dem Jahr 2007 begann man auf Glenelly eigene Trauben für die Weine mit zu verwenden, der Neubau wurde 2010 anlässlich des 85. Geburtstages von May-Eliane de Lencquesaing feierlich in Betrieb genommen. Zwei ihrer zehn Enkel sind aktiv für Glenelly tätig, Nicolas Bureau leitet von London aus den Export und ist außerhalb Südafrikas der Repräsentant von Glenelly. Etwa die Hälfte der Produktion wird exportiert, Hauptmärkte sind die USA und England, sehr wichtige Märkte sind aber auch Belgien, Deutschland und Hong Kong. In Frankreich kann man praktisch keinen ausländischen Wein verkaufen, da helfen alle alten Handelsbeziehungen nichts. Die Weine werden in perfekt gekühlten Containern zu den Importeuren transportiert, eine wichtige Voraussetzung, die es früher nicht gab und die dazu führte, dass die Weine Europa damals oft in schlechtem Zustand erreichten.

Natürlich weiß May-Eliane de Lencquesaing, das der südafrikanische Wein sehr spät auf den globalen Markt drängt und die Konsumenten heute aus einer großen Zahl von aufstrebenden Weinregionen von Neuseeland bis Chile auswählen können. Zudem ist die Leistungsdichte immer größer geworden. Sie betont aber, dass die Weine aus Südafrika in der Charakteristik am meisten denen aus Europa ähneln und gleichzeitig ein sehr günstiges Preisniveau bieten. Hier sieht sie auch für Glenelly die große Chance, allerdings müssen dazu Verfügbarkeit und Sichtbarkeit in den Zielmärkten verbessert werden. Unterstützen kann da der langsam aber stetig wachsende Tourismus nach Südafrika, zumal andere Regionen der Welt heute kaum sicherer zu bereisen sind wie das Land um das Kap. May-Eliane de Lencquesaing jedenfalls fühlt sich in Südafrika sehr sicher und hatte noch nie selbst ein negatives Erlebnis.

Mit nunmehr 90 Lebensjahren pendelt die „Grande Dame“ immer noch alle zwei Monate zwischen Bordeaux und Stellenbosch. Obwohl sie heute auf einen Rollstuhl angewiesen sei mache ihr das Reisen überhaupt nichts aus, zumal Südafrika nur eine einzige Stunde Zeitverschiebung zu Europa hat. Was sie wirklich nicht mag, das sind Finanzzahlen, aber leider müsse das gelegentlich ja auch sein. Da kümmert sie sich lieber um die Kinder der Angestellten auf Glenelly. Ihr Ziel ist es dafür zu sorgen, dass alle Kinder auf die High School gehen können und das kontrolliert sie auch höchst persönlich. Was ihr allerdings große Sorge macht, ist der Widerstand der Regierung in Südafrika gegen die Weinbauern. Sie wären immer noch mit dem alten Feindbild der ausbeutenden, reichen, weißen Farmbesitzer belegt und werden extrem streng kontrolliert. Der einzige Weg, um dieses Problem zu lösen sei die Ausbildung und Integration schwarzer Önologen, was aber noch Zeit benötigen wird.

Was sich May-Eliane de Lencquesaing über ihr ganzes Leben erhalten hat ist die große Liebe zu den Büchern und den politischen Wissenschaften. So freut sie sich immer sehr auf die wöchentlichen Mittagessen im Kreis der Akademie der Wissenschaften in Bordeaux, deren Mitglied sie seit vielen Jahren ist. Bescheiden betont sie aber, sie sei ein „Bauernmädchen“, aufgewachsen im Freien auf den verschiedenen Châteaux der Familie. Ihr Abitur hat sie 1943 in einem Konvent in Bordeaux erworben, auch hier ist eine lebenslange Verbindung entstanden.

Was bleibt, was kommt


Etwa sechs ihrer neun Lebensjahrzehnte hat May-Eliane de Lencquesaing in enger Verbindung mit den großen Weinen des Bordelais verbracht, hat dabei wirtschaftlichen Niedergang und Boomphasen erlebt. Die Zyklen im Weinbau, der der Kunst näher als dem Geschäft ist, verlaufen über sehr lange Perioden. Das lässt in Traditionen über Generationen denken, pflanzen die Eltern doch immer für die Kinder und Enkelkinder. Ihre Begeisterung für den Zauber der Verkostung sehr alter Flaschen Wein ist greifbar, es ist dieses Element des extrem langen Lagerpotenzials, das sie immer wieder hervorhebt. Die Weinstöcke auf Glenelly werden noch viele Wachstumsjahre benötigen, bis sie diese Fähigkeit voll ausbilden.

Mit 90 Jahren ist sich May-Eliane de Lencquesaing ihrer Vorbildrolle für die Jugend sehr bewusst. Sie wirkt unfassbar energiegeladen und blickt weit nach vorne. Dass sie selbst die weiter entfernte Zukunft nicht mehr erleben werden, sei „eine Katastrophe“. Geld, sagt sie, sei ohne Bedeutung. Man werde arm geboren und kann im Tod nichts mitnehmen. Wichtig sei nur, wie man die Jahre dazwischen mit den Menschen gestalte, die einen auf dem Weg begleiten. Die „Grande Dame“ des Bordelais, ein Vorbild eben.