Angelo Gaja in Neustadt / Weinstrasse

23. Juli 2014



Gründe für Angelo Gaja an diesem Juli-Wochenende in die Pfalz zu kommen gab es genügend: seine Weine wurden auf der privaten Weinmesse VÉRITABLE in nahen St. Martin vorgestellt, der Pfalzwein e.V. hatte ihm eine Einladung ausgesprochen und die Weinhochburg Deidesheim/Neustadt kooperiert beim Weintourismus mit der Weinregion Langhe/Roero, die gerade zum Weltkulturerbe erhoben wurde. So eröffnete er am Sonntag Nachmittag, einem drückend heißen Tag im Rheintal in Neustadt, die VÉRITABLE mit einem Vortrag im Saalbau vor rund 400-500 Zuhörern über den modernen Weinbau in Italien. Das Publikum war überraschend jung, immerhin ist Gaja nicht nur ein "Klassiker" der Weinbranche, sondern auch bereits 74 Jahre alt. Offensichtlich haben auch zahlreiche Jungwinzer den Sonntag genutzt, um sich von Gaja inspirieren und motivieren zu lassen. Denn genau das ist es, was ihn antreibt: der Jugend seine Sichtweise darlegen, sie motivieren aktiv zu werden, zu gestalten und ihren eigenen Weg zu gehen. Der reich bebilderte Vortrag wurde von Willi Klinger (früher ein Mitarbeiter von Gaja, heute Weinwerbung Österreich) glänzend aus dem italienischen übersetzt, eine Meisterleistung für sich. Das Publikum verstand aber offensichtlich genügend italienisch, um dem temporeichen und engagierten Vortrag auch so zu folgen.

Es spricht für Angelo Gaja, dass er heute nicht mehr Werbung für seine Weine macht, sondern es geht ihm um Engagement, Zukunftswillen und dem Mutmachen für einen eigenen Weg der Jugend, die so große Chancen hat wie nie zuvor. Dazu erzählt er den Weg des Weinguts, das seit 150 Jahren im Besitz der Familie ist. Als er 1959 sein Oenologiediplom absolvierte, konnte man den Weinbau noch nicht als Wissenschaft bezeichnen. Seit dieser Zeit fand eine Revolution im Weinanbau und in der Kellertechnik statt, die Gaja als "Moderne des Weinbaus" bezeichnet. Ihre Charakteristik: Klarheit (saubere, präzise Arbeit), Hygiene (Verwendung von Edelstahl) und Terroir. Den Ausdruck "Terroir" verwendet er in Bezug auf spezielle Rebsorten, eine spezielle Produtionsweise und eine spezielle Herkunft. Dies macht diese Weine für Gaja so spannend. Dem stehen die "gefälligen" Weine, gemacht für einen breiten Konsumentengeschmack, gegenüber. Gut gemacht mögen sie sein und geschmacksprägend über große Marketingmaschinen, aber eben nicht interessant, nicht spannend.

Dem Ansatz der gefälligen Konsumentenweine stehen die handwerklich gemachten Winzerweine gegenüber. In 90% der Weinbaubetriebe in Italien arbeiten weniger als 10 Personen, sie sind das Rückgrat des landwirtschaftlichen Weinbaus durch die "Artigiani". Die Handwerkskunst ist ein starkes Kulturelement in Italien und dieses möchte Gaja weiter fördern. Sie entsteht durch die Hingabe der in alle einzelnen Detailschritte involvierten Winzerpersönlichkeit. Nichts wird dem Zufall überlassen, alles ist wichtig. Nur so entstehen die Spitzenqualitäten, für die das Land berühmt ist. Als Beispiele für solche der höchsten Qualität verpflichteten Winzerpersönlichkeiten die Italien geprägt haben führt Angelo Gaja u.a. an Aldo Conterno, Marchese Mario Incisa della Rocchetta (Sassicaia) und seine Großmutter Clotilde Rey (1880 - 1961). Insbesondere ihr ist es zu verdanken, dass das Haus Gaja diesen kompromisslosen Weg zur höchsten Qualität eingeschlagen hat. Sie war es auch, die die Familie dominiert und den Enkel Angelo entscheidend geprägt hat. So war sie 1948 die erste, die die Halbpacht beendet und alle Mitarbeiter voll angestellt hat. Damit konnte sie genaue Vorgaben zur Qualität machen, an die sich die Arbeiter halten mussten. Sie hat die späte Ernte eingeführt, ein Risiko, das nur der Besitzer selbst tragen konnte. Und sie führte Klone mit geringem Ertrag ein, ein Pächter zielte immer auf eine große Erntemenge ab. Ihre ganze Überzeugung, den richtigen Weg einzuschlagen, drückte sich in der Einführung eines neuen Etiketts seit 1937 aus, auf dem groß der Name Gaja zu lesen ist. Der Konsument sollte sich an die gute Qualität unter diesem Namen erinnern können - das Marketing war geboren.


Angelo Gaja hat alles erreicht, als Weinproduzent und als Unternehmer. Nun gilt seine Aufmerksamkeit dem Bewahren und Übergeben des Erreichten.

Spannend waren auch seine sehr persönlichen Geschichten, die er über die Großmutter erzählte. Auf die Frage, was er denn einmal werden wolle, konnte er damals als Kind nichts antworten. Da gab sie ihm vier Stufen der Entwicklung zum wahren Artigiani vor, deren Sinn sich ihm erst mit zunehmendem Alter erschloss.
  1. fare ("Machen")

    Wer etwas erreichen will im Leben, muss etwas machen, aktiv sein.

  2. saper fare ("Können")

    Aus dem Tun müssen sich Fertigkeiten entwickeln, modern ausgedrückt, know how aufgebaut, ein Experte, Meister werden. Dies gelingt nur, wenn man etwas tut, in das man seine ganze Leidenschaft einbringt.

  3. saper far fare ("Wissen übertragen")

    Damit das Wissen nicht verloren geht ist es notwendig, es zu übertragen, auf Mitarbeiter, die Familie, Kinder.

  4. far sapere ("Wissen lassen")

    Es genügt dennoch nicht, etwas mit meisterlichem Können zu machen, herzustellen. Man muss diese Eigenschaften kommunizieren, nach außen tragen, die Geschichte des Produkts erzählen lernen und emotionale Bindungen herstellen. Wenn dies nicht gelingt, werden die Kunden das Produkt nicht kaufen, z.B. einen Wein, den kauft man nicht wegen der technischen Daten.
Nur wenn man diese vier Stufen durchläuft und meistert, wird man ein echter "Artigiani".

Angelo Gaja spannt wieder den Bogen zum Weinbau im Piemont, der hier 800 Jahre alt ist. Die hier angebaute, spätreifende Nebbiolotraube profitiert vom Alpenbogen um die Langhe, die das warme Mittelmeerklima hält. Das Wissen von Generationen von Winzern ist heute akkumuliert in der modernen Oenologie. Bei allem Streben nach dem perfekten Wein stellt Angelo Gaja fest, dass es diesen nicht geben kann und auch nicht geben dürfe. Es sind die kleinen Unregelmäßigkeiten, die dieses Naturprodukt so spannend machen und das soll auch so bleiben.

Volle zwei Stunden spricht Angelo Gaja voller Enthusiasmus. Trotz seines Alters von 74 Jahren und einem Jackett bei brütender Hitze im Saal begeistert er die Zuhörer, er ist ein begnadeter Redner und einer, der etwas zu sagen hat. Wenn er einmal nicht mehr im Weingeschäft tätig sein sollte, als Motivationstrainer wäre er auf jeden Fall Weltspitze.