Im Wein liegt die Wahrheit

Das Mysterium der teuersten Flasche der Welt




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Benjamin Wallace
1. Auflage, broschiert, 368 Seiten (2012)
Verlag Tre Torri, Wiesbaden, ISBN: 3941641670

Autor(en):
Benjamin Wallace wuchs in Washington auf und verbrachte nach seinem Abschluss auf der Georgetown University mehrere Jahre in der Tschechei und Ungarn als Englischlehrer, Korrekturleser des tschechischen Außenministeriums und als Journalist. Später kehrte er in die USA nach New York zurück, wo er heute lebt und schreibt. Neben seinem ersten Buchprojekt publiziert er in Printmedien wie GQ , Details, Food & Wine , Salon und The Washington Post .
Unser Eindruck:
Der Titel der amerikanischen Originalausgabe drückt die Diktion dieses Buches viel besser aus als der deutsche: "Billioniare`s Vinegar" (übersetzt in etwa: Der Essig der Milliardäre). Das sehr gut recherchierte Sachbuch von Benjamin Wallace transportiert auf subtile Weise die Dekadenz seiner Handlung: super-reiche Leute, die schon alles haben, kaufen quasi blind vor Geltungssucht und ohne große Sachkenntnis Weinflaschen mehr als zweifelhafter Herkunft für exorbitante Preise. Der Inhalt ist dabei zumeist ungenießbar oder zumindest kein Vergnügen. Schon gar keines, für das es sich lohne, einen hohen Preis zu zahlen. Zentrale Figuren dieses Hypes sind Michael Broadbent, der als Leiter der Weinabteilung des Auktionshauses Christie`s dieses Marktsegment quasi neu erfunden hat und Hardy Rodenstock, der den Markt permanent mit unglaublich seltenen und alten Flaschen versorgte. Broadbent und Rodenstock arbeiteten dabei quasi in Symbiose zusammen, um alle berechtigten Zweifel an der Provenienz zu zerstreuen.

Höhepunkt dieser Entwicklung sind die angeblich in Paris zufällig gefundenen Weinflaschen berühmter Premier Crus des Bordelais aus den späten 1780er Jahren, die zur Lieferung an Thomas Jefferson, dem amerikanischen Botschafter in Frankreich und späteren 3. amerikanischen Präsidenten vorgesehen waren. Jefferson war nicht nur eine der Lichtgestalten der amerikanischen Geschichte, sondern auch ein ausgewiesener Weinliebhaber und Weinexperte. Vermutlich sogar der erste Weinexperte der damals noch jungen neuen Welt. Wein hat er sicher bestellt und auch bekommen, aber stammen die gefundenen Flaschen wirklich aus einer für ihn bestimmten Lieferung, die wegen der Wirren der frz. Revolution in einem Pariser Keller eingemauert und 200 Jahre nicht mehr gefunden wurden? Und wie kam Rodenstock, der seine Quelle nicht näher bezeichnet, an den Tipp dieser Flaschen?

Es entspinnt sich eine lange Kette von Indizien Pro und Kontra der Echtheit der Flaschen. Die heute noch weltberühmten betroffenen Châteaus Lafite, Margaux, Mouton und Yquem, also das Beste, was die Weinwelt zu bieten hat, zeigten unterschiedliche Begeisterung über den Fund. Wallace arbeitet jedes noch so kleine, erhältliche Detail minutiös auf, bezieht aber selber keine Stellung. Dies liegt wohl auch an noch laufenden Rechtsverfahren um die Echtheit und Schadensersatz. Die gesamte Storyline wird aber auch mit romanhaften Elementen ergänzt, Wallace verlässt damit die reine Sachbuchebene. Das macht es für den Leser nicht einfacher, sich ein neutrales Bild der Lage zu verschaffen. Der Stoff ist so gut aufbereitet, dass Hollywood eine Verfilmung erwägt, mit Brad Pitt in der Hauptrolle.

Einmal völlig von der Handlung und deren Bewertung abgesehen wirft das Buch aber auch einen langen Schatten auf den globalen Markt für Spitzenweine. Es beschreibt, wie nach dem 2. Weltkrieg in England die Schätze der Keller der Aristokratie durch Broadbent gehoben werden. Hier lagern große Jahrgänge von Spitzen-Châteaus des Bordelais, die oftmals über 100 Jahre alt sind. Christie`s nimmt sich dieser Flaschen an und schafft über seine speziellen Weinauktionen quasi aus dem Nichts einen neuen Markt. Die Preis steigen rasch astronomisch an und je höher der Preis, je seltener die Weine, umso attraktiver wird der Markt für Sammler und Investoren - und eben für schlichte Betrüger. Gleichzeitig wird die Presse auf den Wein aufmerksam, der Weinjournalismus spezialisiert sich. Weinjournalisten, Auktionatoren, Händler und auch die Produzenten gehen eine unheilige Allianz ein. Es wird schön geredet und geschrieben, während Broadbent und andere unablässig durch die tiefen und feuchten Keller robben, immer auf der Suche nach weiteren Raritäten und Sensationen. Kritik und Zweifel ist hier nicht gefragt. Selbst wenn Institutionen wie Michael Broadbent nicht vorsätzlich gehandelt haben, das Treiben haben sie für wirtschaftlichen Erfolg genutzt und es nicht beendet. Durch einen Vergleich konnte Broadbent auch eine Veröffentlichung dieses Buches in England bislang verhindern.

Ob es ein gutes Buch ist sei ebenso dahin gestellt wie die Frage, ob alle Fakten in diesem Buch richtig sind. Es ist in jeden Fall ein wichtiges Buch, denn es lenkt den Blick auf maßlose Übertreibungen in einer Branche, in der Betrug leicht und damit an der Tagesordnung ist. Mit dem chinesischen Markt und der Bereitschaft in China zum Kopieren und Fälschen hat dieses Thema heute eine ganz neue Dimension angenommen. Selbst die renommiertesten Domainen und Châteaus kaufen am Sekundärmarkt keine eigenen Flaschen zurück, auch wenn sie noch so gerne wollten. Wer heute noch alte Burgunder oder ältere Pétrus-Flaschen kauft ohne lückenlosen Nachweis, ist einfältig. Gleiches gilt für alte, große Bordeaux, insbesondere in großen Flaschen. Seit 2009 füllt DRC nicht mehr in Großflaschen oberhalb der Magnum ab, um dem Spekulationstreiben ein Ende zu bereiten.

Wenn erst der Film kommt, wird die Diskussion noch heißer werden. Besonders interessant ist, dass der Herausgeber der deutschen Ausgabe, Ralf Frenzel, in dem Buch eine kleine, aber immer wieder beschriebene Rolle spielt...

Unsere Bewertung: