Dekadenwechsel

20. Dezember 2009




Im nicht allzuweit zurückliegenden 20. Jahrhundert glaubte man wirklich, im neuen Jahrtausend würde alles besser, klang es doch so schön nach Zukunft und der Optimist ist, wie der Name sagt, grundsätzlich der Meinung, später lösten sich alle Probleme. Des Fortschritts wegen. Nun, da die erste Dekade des neuen Jahrtausends quasi vorbei ist, kann man eigentlich eine erste Bilanz ziehen. Wir wollen das hier aber nur in Bezug auf den Wein tun.

These 1: Der Wein ist besser geworden
Keine Frage, die moderne Technik hat Einzug gehalten in Weinberg und Keller (und vor allem hier). Aus ehemals bäuerlich betriebenen Weingütern wurden im gehobenen Segment wahre High-Tech-Betriebe, die mehr oder weniger unter "Pharma-Bedingungen" produzieren. Wirklich schlechte Jahrgänge gibt es kaum mehr, dafür kann man heute zu viel kompensieren, wenn der Betrieb es sich leisten kann. Kellermeister wurden zu Anlagenfahrern in der Meßwarte. Der Einsatz elektronischer Trauben-Selektionsmaschinen wird der nächste Quantensprung werden.

These 2: Das Jahrzehnt der Jahrhundert-Jahrgänge
"Marketing is King", die Superlativen haben eine beispiellose Inflation erfahren. Verzichtet man darauf, geht man unter im Meer der Marken und Werbebotschaften. Das beste Mittel dagegen sind "Jahrhundert-Jahrgänge" in einer Zeit, in der ein Quartal schon als lange empfunden wird. Und tatsächlich gab es in den letzten 10 Jahren einige Anwärter: im Bordelais gleich zu Beginn der 2000er, dann 2003 (teilweise), 2005 (ganz bestimmt) und 2009 (ganz sicher). Oder 2007 in Châteauneuf-Du-Pape oder überhaupt in Italien (2000, 2001, 2004 bis 2009). Burgund, Deutschland, Österreich, USA, überall muß man "lange zurückdenken", um sich an solche Jahrgänge zu erinnern. Hoffentlich sind diese - zur Spekulation geeignete Jahrgänge - nicht genauso schnell wieder vergessen.

These 3: Der Wein ist Mainstream geworden
Wellness, Wellfit und andere Wohlfühl-, Gesundheits- und Genuß-Themen haben zu einer unglaublichen Aufmerksamkeit auf Essen und Trinken geführt. Die Medien haben diesen Trend verstärkt. Wein ist dabei weltweit gesellschaftsfähig geworden und gehört heute unmittelbar zum Life-Style. Die Nachfrage nach Wein - und vor allem gutem - ist gleichzeitig stark angesprungen.

These 4: Der "Verlust der Mitte"
Mit der fortschreitenden Globalisierung haben Grenzen ihre Bedeutung verloren. Gleichzeitig haben sich international übergreifende soziale Schichten gebildet, die immer weniger durchlässig werden. Die Globalisierungsgewinner, die hoch ausgebildeten Menschen im Westen und auch im Osten, gleichen sich im Life-Style immer mehr an und verschärfen vor allem die Nachfrage im Spitzensegment der Weinindustrie. Wegen der hohen Margen in diesem Segment verlassen immer mehr Anbieter die Mitte und streben nach oben oder - wenn dies nicht gelingt - eben in das Massensegment. Beide Richtungen setzen sehr hohe Kapitalkraft voraus, die Konzerne (Getränke, Luxus, Banken, usw.) übernehmen global das Wein-Business. Jetzt müssen Controller lernen, dass sich ein Barrique-Ausbau hinziehen, aber dennoch lohnen kann.

These 5: Internet und Medien revolutionieren den Wein
Vor einer halben Generation mußten die piemontesischen Winzer noch mit dem Auto ins Burgund fahren, um den Winzern dort in die Keller zu schauen und zu lernen, wie man aus großartigen Trauben auch große Weine macht. Heute ist alles online verfügbar, keine noch so nebensächliche Information nicht online und mobil überall sofort abrufbar. Eine gigantische Transparenz, die nebenbei Voraussetzung für das Entstehen eines funktionierenden Sekundärmarktes war. Wein wurde zunehmend gehandelt, die Preise stiegen und damit entstand das Phänomen der "Wein-Spekulation". Und die erste Dekade hat auch ausgereicht, um die erste Blase entstehen und platzen zu lassen. Die klassischen Medien kämpfen tapfer gegen den elektronischen Eindringling und haben noch ihren Platz. Allerdings verschwinden immer wieder mal Weinfachzeitschriften in aller Stille.

These 6: Bio-Weine für alle
Biologischer Anbau ist nicht mehr nur ein Thema für vereinzelte "Spinner". Oft waren es die besten Güter, die früh auf Bio umgestellt haben, wollten sie doch ihren wertvollen Boden optimal erhalten. Ein strengerer Verbraucherschutz und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit haben dafür gesorgt, dass das Thema heute weitgehend "durch" ist. Gut so!