Das Weinjahr 2023 im Rückblick

06. Dezember 2023


Nein, 2023 war kein gutes Jahr für die Wein-Branche. Mittlerweile spalten zwei Kriegsherde die Weltordnung in scheinbar unversöhnliche Lager. Klimawandel und das Leben vieler Menschen bedrohende Krisen führen zu Massenmigrationen verzweifelter Menschen. Angesichts des Leids in der Welt fällt es schwer, sich mit einem so vergleichsweise völlig unbedeutenden Thema wie Wein zu beschäftigen. Dennoch versuchen wir wieder einmal, einige wichtige Trends des Jahres herauszuarbeiten, denn auch die Wein-Branche kann sich dem Krisenmodus nicht entziehen.

  • Der weinrouten Wein des Jahres 2023

    Doch beginnen wir unseren Rückblick mit etwas Erfreulichem: unserem weinrouten Wein des Jahres, dem Le Pin 2022. Obwohl es in dem sehr guten Jahrgang 2022 viele herausragende Weine zu verkosten gab, der Le Pin 2022 sticht weit aus dieser Kategorie heraus. Das verzaubernde Aromenprofil, die unendliche Eleganz und der traumhafte, endlose Abgang bilden ein transzendentales Geschmackserlebnis, das lange im Gedächtnis bleibt. Nicht oft im Leben kann man so einen Wein verkosten.

  • Der Weinkonsum steht massiv unter dem Druck gesellschaftlicher Entwicklungen

    Der globale Weinkonsum war in 2023 mit etwa -7% deutlich rückläufig. In China ist der Konsum seit Jahren nicht mehr gesellschaftlich akzeptiert, in Europa drohen aktuell hohe regulatorische Hürden wie z.B. eine Kennzeichnungspflicht mit Warnhinweisen vor dem Genuss auf der Flasche. In den USA, wie in vielen anderen westlichen Industriestaaten, kommt mit der "Generation Z" eine Bevölkerungsschicht in ein Alter, in dem früher der Weinkonsum begann. Aber gerade diese Generation "Z" lehnt Alkohol oft generell ab und ist zudem nicht mehr bereit, hohe Summen für "Icon-Weine" zu bezahlen. Der Trend des nachlassenden Weinkonsums verstetigt sich seit Jahren, jetzt wirkt er sich aber immer deutlicher aus. Dafür boomt der Konsum "alkoholfreier Weine", ein relativ neues Phänomen. Die in höchstem Maße fragmentierte Weinbranche steht diesen Trends quasi machtlos gegenüber und flüchtet sich, wo möglich, in das Premiumsegment. Gerade das Jahr 2023 hat aber gezeigt, dass auch dieser hochpreisige Sektor nicht immun ist gegen den Rückgang der Nachfrage.

    Dem rückläufigen Weinkonsum steht ein immer weiter wachsendes Angebot gegenüber. Von allen landwirtschaftlichen Produkten ist Wein in der Regel das Produkt mit der höchsten Marge pro Hektar Land. In fast allen großen Anbauländern gibt es erhebliche Überkapazitäten. Schlagzeilen machten Rodungsprämien in Frankreich, in den USA reduziert der größte Betrieb des Staates Washington, Ste. Michelle, den Traubenbezug in der Region drastisch. Selbst Australien ist mit massiven Überproduktionen wegen des rückläufigen Exports nach China konfrontiert.

  • In 2023 wurden herausragende Jahrgänge in den Markt gebracht

    Viele große Weine wurden in 2023 im Markt präsentiert. Bordeaux stellte seinen hoch gelobten Jahrgang 2022 vor, ein Jahrgang geprägt von Hitze und extremer Reife. Wer die Ernte und Vinifizierung perfekt beherrschte, konnte Weine von historischer Qualität produzieren, wer es nicht beherrschte schaffte kaum eine mittelmäßige Qualität. In 2022 war das rechte Ufer mit seinem hohen Merlot-Anteil im Vorteil - ein Traumjahrgang für den Merlot. Weniger gelungen als die Weine war die Primeurskampagne. Der Markt war im Krisenmodus nicht bereit, bis zu 25% Preissteigerung zu akzeptieren. Ein schwacher Jahrgang 2021 und ein unverkaufter, großer Jahrgang 2022 bringen den Bordeauxhandel in wirtschaftliche Schwierigkeiten mit vollen Lägern und leeren Kassen.

    Viele Weine aus den ganz großen Jahrgängen 2019 und 2020 erreichten nach dem Fassausbau den Markt. Sowohl in Frankreich als auch in Italien und den USA war der Jahrgang 2019 von allerhöchster Qualität. Auch 2020 war in vielen bedeutenden Weinregionen sehr groß. Die reiche Auswahl an großen Weine wurde jedoch getrübt durch die dynamische Preisentwicklung. Alleine der Preissprung von 2019 auf 2020 betrug oft bis zu 30%, insbesondere in der Kategorie der "Luxus-Weine". Im Ergebnis müssen sich diese Weine, in der Regel sehr starke Weinmarken, eine neue Konsumentenschicht erschliessen, die bereit ist, diese Preise zu bezahlen.

  • Der Klimawandel verändert in der Weinbranche fast alles

    Als wären die gesellschaftlichen negativen Trends nicht genug Herausforderung, diktiert der Klimawandel in der Weinbranche weltweit neue große Herausforderungen. Die mikroklimatischen Bedingungen in vielen Weinregionen ändern sich in immer größerem Tempo in dramatischer Weise. Hitze und vor allem Trockenheit fordern traditionelle Anbaugebiete heraus. Neue Weinberge werden auf einmal in Nordausrichtung gepflanzt, früher suchte man die Sonne zur vollständigen Ausreifung. Lesezeitpunkte werden immer früher gesetzt, oft bleibt nur eine kurze Zeitspanne für die Lese. Gleichzeitig wird viel mit hitzeresistenten Rebsorten experimentiert, die Laubarbeit entwickelt sich zum kritischen Einflussfaktor. Extreme Hitze und Trockenheit bereiten leider auch den Boden für vermehrte Waldbrände, eine große Gefahr für angrenzende Rebflächen. Im Bordelais stellen die vielen Neupflanzungen von schnell wachsenden Fichten ein großes Problem dar, da Fichtenbrände kaum zu löschen sind. Monokulturen mögen wirtschaftlich attraktiv sein, für das Ökogleichgewicht sind sie eine Gefahr.

    Es gibt aber auch Gewinner des Klimawandels, z.B. die nördlichen Weinregionen Deutschlands, die jetzt regelmäßig sehr gute, voll ausgereifte Ernten einfuhren. Und seit wenigen Jahren erlebt England einen Boom an Pflanzungen von extensiven Rebflächen. Auch in der Champagne bezeichnet man den Jahrgang 2013 als den letzten "cool climate" Jahrgang, mit entsprechend sehr hohen Bewertungen übrigens.

  • Die Konsolidierung der Weinbranche schreitet rasch voran

    2023 war ohne Zweifel ein Jahr der spektakulären Übernahmen in der Wein- und auch Spirituosenbranche. Über eine Milliarde Doller kostete die Familie Antinori die Übernahme aller Anteile von Stag's Leap im Napa Valley, ein Spitzenbetrieb mit herausragender Geschichte. Auch die Frescobaldi Gruppe kaufte sich in den USA ein Weingut, der erste Schritt außerhalb von Italien. Sehr aktiv sind auch die großen französischen im Wein aktiven Konzerne. So wurde der Traditionshersteller Jacquesson von Artémis Domaines übernommen. Moët-Hennessy integrierte sich nach vorne und übernahm gemeinsam mit de Campari-Gruppe den großen italienischen Online-Händler Tannico mit einem starken Fuss im französischen Markt. Zudem wurde in einem nicht minder spektakulären Kauf das renommierte Weingut Joseph Phelps Vineyards in Napa übernommen. Solche herausgehobenen Übernahmen zu exorbitanten Preisen zeigen, welche Dynamik die Branche erfasst hat. Für Familienbetriebe wird es zunehmend schwierig, Antinori und Frescobaldi sind hier eine große Ausnahme und so cashstark, dass sie mit gestalten können.

  • Wein und AI, noch kein "match"

    NFTs und Metaverse waren die ersten Versuche, der Weinbranche mit moderner Informationstechnologie den Weg in die Transformation aufzuzeigen. Viel hat man hier nicht mehr gehört nachdem die Kryptowährungen eingebrochen und in Verruf geraten sind. Dafür experimentiert die Branche mit neuen Anwendungen aus dem Bereich der AI. Ansatzpunkte sind hier vor allem Rationalisierungen und Unterstützung der Social Media Marketingaktivitäten. Einen echten Durchbruch haben wir noch nicht gesehen, aber das ist eine Frage der Zeit und wird auch nicht lange dauern.

Man sagt ja oft, dass im Qualitätsweinbau in Jahrzehnten und nicht in Monaten oder Jahren geplant wird. Schließlich ist man immer noch abhängig von der Natur und Rebstöcke benötigen viel Zeit, bis sie optimale Qualitäten liefern. Gepflanzt wird immer für die kommende Generation. Dem steht ein hoch dynamisches gesellschaftliches und geopolitisches Umfeld gegenüber. Exportmärkte entwickeln sich und brechen ein, innerhalb weniger Jahre. Das Klima fordert Pflanzentscheidungen und Anbaumethoden in wenigen Jahren heraus. Der traditionelle Weinkunde, meist ein Jahrgang aus der Boomer-Generation, wird durch neue, durchaus komplexe und fordernde (Nicht)-Käuferschichten ersetzt.

Und doch ist die Resilienz der Weinbranche und ihrer Grundlage, den Rebstöcken, äußerst bemerkenswert. Wirklich verblüfft hat uns ein Kommentar eines Bordelaiser Önologen, der sagte, einen Jahrgang wie 2022 hätten die Rebstöcke vor fünf Jahren nur mit großen Schäden überlebt. Entsprechend nervös war man, bis man die ersten fermentierten Proben verkostete. Und dann ein derart großartiges Ergebnis, eigentlich undenkbar. Bis über die Ernte wären alle Rebstöcke mit intaktem Blattwerk und in gesundem Zustand geblieben. Es gab keine Wachstumsblockade. Des Rätsels Lösung: die Rebstöcke haben sich selbst längst an den Klimawandel angepasst!

Wenn das kein Grund für Hoffnung ist!