Megatrend alkoholfreier Wein

11. März 2023


Während der Weinkonsum in vielen Ländern rückläufig ist verzeichnet das junge Marktsegment der alkoholfreien Weine ein stürmisches Wachstum. Die Nachfrage trifft auf eine innovative Branche, die heute schon erstaunliche Qualitäten anbieten kann. Neue Produkte, neue Märkte und auch neue Regeln ziehen aktuell ein beträchtliches Investitionskapital an und verstärken diese Dynamik weiter.

"Können Sie mir einen alkoholfreien Wein anbieten?" fragt die junge Dame an unserem Nachbartisch in einem gehobenen Restaurant in der Pfalz. "Nein, das können wir leider nicht" lautete die ernüchternde Antwort. Und das in einem Restaurant, das auf seine umfangreiche Weinkarte mit berühmten Gewächsen aus der direkten Nachbarschaft stolz sein kann.

Ein Einzelfall? Keineswegs. In der Branche mit start up Charakter werden Wachstumsraten von 300% pro Jahr genannt. Man kommt allerdings von einer sehr niedrigen Basis, da sind Nachfragesprünge immer gleich spektakulär. Dennoch, der Absatz geht bereits weit in die Millionen Flaschen. Hauptabsatzmärkte sind neben den USA und Kanada die skandinavischen Länder und Großbritannien. Das sind typischerweise Länder, in denen der Alkoholkonsum eingeschränkt oder zumindest streng kontrolliert ist. Allerdings entwickeln sich auch Märkte wie Deutschland und Frankreich, Länder mit bedeutender Weinproduktion und auch -tradition.

Was genau ist alkoholfreier Wein?


Die einzige konkrete Abgrenzung stellt der Höchstwert an 0,5 Volumenprozent Alkohol dar. Alle Getränke darunter fallen laut Gesetz nicht mehr in die Kategorie der alkoholischen Getränke. Theoretisch könnte man den Wein auch vollständig entalkoholisieren, meist liegt der Alkoholwert aber um die 0,25% oder darunter. Grundsätzlich findet hier das Lebensmittelgesetz mit seinen Kennzeichnungspflichten Anwendung. Allerdings ist eben der Begriff "alkoholfrei" nicht ganz zutreffend. In der Praxis wird jedoch auf die Angabe der Volumenprozent verzichtet, dafür betont man die 0% oder "ZERO", abgerundet eben.

Seit Ende 2021 regelt das europäische Recht für die EU, dass alkoholfreie und alkoholreduzierte Erzeugnisse (Weine und Schaumweine) rechtlich wieder Wein sind. Der Begriff "alkoholfrei muss auf den Etiketten durch "entalkoholisiert" ersetzt werden. Zudem ist die Praxis der Süßung mit Saccharose verboten. Eine Übergangsfrist endete am 01.01.2023. Wichtig ist auch, dass ein Mindesthaltbarkeitsdatum anzugeben ist, in der Regel 3 Jahre ab dem Abfülldatum.

Wie entsteht alkoholfreier Wein?


Die Bandbreite von "alkoholfreien Weinen" ist groß, wir fassen die Definition für uns enger und bezeichnen damit fermentierte Getränke (Grundweine), denen in einem zweiten Schritt der Alkohol entzogen wird. Damit scheiden in dieser Betrachtung Mixgetränke auch auf Basis von Traubensaft aus, denn nur über die Fermentation entsteht ein weinähnliches Geschmacks- und Aromenprofil. Ein erstes Verfahren zum Alkoholentzug des Weins wurde bereits schon vor über 100 Jahren entwickelt. Die jüngsten Innovationsschübe sind allerdings mehr als beeindruckend und das dürfte erst der Anfang sein.

Wein besteht zu etwa 12% (mit einer Bandbreite von 5-15%) Alkohol und dem Rest Wasser bis auf rund 1% Aroma- und Geschmacksstoffen, die die ganze Vielfalt und Magie dieses Getränks ausmachen. Zu diesen Stoffen zählen mineralische Salze genauso wie eine Vielzahl hochkomplexer organischer Aromastoffe, die man bis heute synthetisch nicht reproduzieren kann. Dazu kommt eine endlose Vielfalt dieser Stoffe, je nach Rebsorte, Bodenaufbau, Anbaugebiet und An- sowie Ausbaumethode. Die Kunst besteht nun darin, diese vielen, teils sehr empfindlichen Stoffe beim Alkoholentzug unbeschadet zurückzulassen.

Das aktuell beste Verfahren hierzu ist eine schonende Vakuumdestillation, bei der der Grundwein für ca. eine Stunde einer Temperatur von maximal 30°C ausgesetzt wird. Wer schon einmal seine neu eingekauften Weine im Sommer im Auto vergessen hat, weiß, was in der Hitze in kürzester Zeit passiert. Aber die Branche arbeitet intensiv auch an alternativen Verfahren wie das der Membrantechnologie. Denn selbst bei einer sehr schonenden Abdestillation des Alkohols entweichen zahlreiche Aromastoffe, die wiederum abgetrennt und unter Qualitätsverlust wieder zugeführt werden müssen. Wie unvollständig dieses Verfahren ist verrät das hocharomatische Destillat mit seinen rund 70% Alkoholgehalt.

Allerdings kann man nicht leugnen, dass die Technologie heute auch in der Breite schon stark verbessert wurde, mit deutlichen Qualitätssprüngen beim Endprodukt.

Um den Wein ohne Alkohol zu stabilisieren muss man Pasteurisieren (Erhitzen auf ca. 70°C für etwa fünf Minuten) oder schonender etwas Kohlensäure aufdrücken. Auf diese Weise kann man heute Weine aus einer Vielzahl von Rebsorten als Weißweine, Roséweine oder Rotweine herstellen sowohl als Stillweine als auch als Schaumweine. Bioqualitäten sind ebenfalls problemlos möglich. Dabei gilt immer: hochwertige Grundweine sind die Grundlage für hochwertige alkoholfreie Weine.

Wie schmeckt alkoholfreier Wein?


Zur Vermeidung von Missverständnissen: alkoholfreier Wein ist kein Wein, sondern basiert auf Wein. Alkohol ist in hohem Maße Aroma- und Geschmacksträger und mit 12-15% Volumenprozent in dieser Funktion auch wichtiger als z.B. im Bier mit etwa 5% Alkohol. Der relativ niedrige Siedepunkt macht ihn zudem zu einem Verstärker vor allem im Bukett. Alkoholfreie Weine wirken in der Nase stumpf und ausdrucksschwach. Oft zeigen sie unmittelbar nach dem Öffnen der Flasche einen muffigen Ton, der dann aber meist nachlässt. Die besten Weine vermeiden diesen Fehlton heute schon.

Am Gaumen zählen dann insbesondere Frische und Spannung sowie eine gute Balance von Frucht und Säure, ganz wie beim Wein mit Alkohol. Hier sind die Qualitätsunterschiede besonders groß, die besten alkoholfreien Weine sind in dieser Disziplin schon erstaunlich gut. Schaumweine sind mit ihren Kohlensäure-Bläschen besonders im Vorteil. Das Mousseux transportiert die verbliebenen Aromastoffe, die Kohlensäure bringt Frische, Struktur und eine leicht salzige Komponente. Ähnlich vorteilhaft zeigen sich alkoholfreie Weizenbiere. Mit Kohlensäure stabilisierte Stillweine profitieren von diesem Effekt.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass alkoholfreie Weine das Geschmacksprofil der Grundweine nicht erreichen und das auch beim Stand der Technik nicht können. Nicht nur fällt der Alkohol als Geschmacksträger weg, sondern der Dealkoholisierungsschritt reduziert mehr oder weniger auch die Aromenkomplexität. Mit schonenden Verfahren und arbeiten bei niedrigen Temperaturen kann man hier aber viel erreichen. Sehr gute alkoholfreie Weine kann man schon mit viel Trinkspaß genießen.

Der Trend zum Genuss ohne Nebenwirkungen


Die Gründe für den bewussten Verzicht auf Alkohol sind so vielfältig wie die Menschen, die gerne Wein genießen. Auch wer keine Vorbehalte gegen Alkohol in Maßen hat, wird gut gemachte alkoholfreie Weine in bestimmten Situationen sehr schätzen. Die gesundheitlichen Vorteile des Alkoholverzichts sind offenkundig, auch wenn man gesund ist - nicht nur bei Leistungssportlern. Das Argument, dann solle man eben ganz auf Wein verzichten, gilt nur solange es keine guten Alternativen gibt. Diese zeichnen sich aber definitiv ab.

Der deutliche rückläufige Weinkonsum ist in einer im Januar 2023 erschienenen Studie der svb Bank ("2023 State of the Wine Industry Report") eindrucksvoll dokumentiert worden. Einzig die über 60-jährigen Konsumenten stützen den Weinabsatz noch. Natürlich sind dafür die alkoholfreien Weine noch nicht substanziell ursächlich, dennoch zeigt die Studie den klaren Trend bei den jüngeren Konsumenten, zunehmend auf Wein und auch andere alkoholische Getränke zu verzichten.

Damit eröffnen sich neue Chancen in dem Segment der alkoholfreien Weine. Noch liegen die Märkte für diese Produkte nicht in direkter Konkurrenz zu den etablierten Weinen. Allerdings gibt es erste starke Bestrebungen, auch hochwertige Grundweine zu entalkoholisieren ("alkoholfreier Grand Cru Wein"). Noch stehen diesem Vorhaben ökonomische Gründe und die Haltbarkeitsgrenze von 3 Jahren entgegen. Denn warum sollte man einen alkoholfreien Wein für über 50 € kaufen, wenn ein vergleichbarer Wein mit Alkohol weniger kostet und über viele Jahre in der Flasche nur noch besser wird? Beide Hindernisse erledigen sich aber rasch aus der Perspektive eines älteren Konsumenten, der junge Bordeaux sowieso nicht mehr subskribiert, da er nicht mehr bis zur Trinkreife warten will oder kann.

Wo stehen die alkoholfreien Weine heute?

  • Die Qualität der Grundweine bestimmt die Qualität der alkoholfreien Weine.
  • Die Dealkoholisierung reduziert die Aromavielfalt gegenüber den Grundweinen.
  • Moderne, innovative Verfahren reduzieren diese Defekte erheblich. Hier ist noch viel Potenzial.
  • Der Kipp-Punkt hin zu akzeptablen Qualitäten scheint erreicht und das Innovationstempo wird eher noch zunehmen.
  • Aktuell scheint der Marktbedarf noch größer als das Angebot, allerdings nehmen sich Anbieter und Konsumenten noch nicht in ausreichendem Maße wahr.
  • "Alkoholfreie Grand Cru Weine" sind eine Frage der Zeit und werden für die Weinbranche zur Herausforderung.
Alkoholfreie Weine sind Megatrend und werden sich einen bedeutenden Marktanteil erobern. Kapitalstarke Anbieter werden diesen Trend nutzen. Diese Anbieter müssen aber nicht zwangsläufig aus der Weinbranche stammen. Der Export dieser Produkte ist gegenüber Wein wesentlich einfacher, da weitestgehende Regulierungen wegfallen (z.B. Zoll- und Handelsschranken beim Vertrieb von Wein und insbesondere Schaumwein).

Es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis die Dame an unserem Nachbartisch in fast jedem Restaurant eine alkoholfreie Weinvariante angeboten bekommt. Beim Bier ist das ja auch schon so.