Barolo Jahrgang 2010 - einer der größten?

22. Mai 2014


2010 war in fast ganz Europa ein eher kühles Jahr, aber dennoch nicht zu nass. Dies führte trotz einer langen Vegetationsphase zu voll ausgereiften und optimal gesunden Trauben. Da das Wachstum nicht übermäßig und langsam verlief, waren die Trauben nicht groß und besaßen eine dicke Schale. Daraus wurden in vielen Regionen sehr große Weine gekeltert, z.B. im Bordelais, im Burgund, an der Rhône und eben auch im Piemont. Das Wort des "Jahrhundertjahrgangs" wurde oft bemüht, für 2010 dürfte dieser Begriff aber seine Berechtigung haben. Dabei war vor allem Frankreich schon durch 2009 verwöhnt, der ebenfalls ein Jahrhundertjahrgang war. Im Piemont aber war 2009 kein sehr guter Jahrgang, es regnete zu oft, war wechselhaft und führte zu ungleicher Ausreifung.

Dennoch ist man in Italien und ganz besonders im Piemont mit seiner vorherrschenden launischen und anspruchsvollen Nebbiolotraube seit 1996 mit sehr guten Jahrgängen mehr als verwöhnt worden. Als sehr groß gelten 1997, 2001, 2004, 2006, 2007 und 2008 - und nun mehren sich die Stimmen, die den Jahrgang 2010 als den besten seit 1990 bewerten. Eine einmalige Serie, aus der nur der 2002er herausfällt, der oft gar nicht abgefüllt wurde. Natürlich wirkt hier auch der viel beschriebene Klimawandel, der mit wärmeren Temperaturen dafür sorgt, das der Nebbiolo in der Regel seine phenolische Reife voll durchlaufen kann.

Die Vorfreude auf diesen Jahrgang war bereits seit längerem spürbar, die Fassproben vielversprechend. Ein sehr ausdrucksstarker, präziser Jahrgang. Durch den regulären Wetterverlauf in der Region und die nicht zu stark dominierende Frucht sieht man auch die Lagencharakteristik außergewöhnlich klar hervortreten. So mögen es die Barolista, genauso wie ihre Kollegen im nicht zu weit entfernten Burgund. Eben diese Terroircharakteristik macht den Reiz dieser Region aus. Ein in jeder Hinsicht "klassischer" Jahrgang also, Antonio Galloni spricht von einem "modern-day classic". Überhaupt Antonio Galloni: mit seiner im Januar 2014 publizierten Bewertung der Weine in der Flasche - sehr viele Weine sind bereits abgefüllt - gießt er weiter Öl ins Feuer der Begeisterung. Mit mehr Tanningerüst als 2008 bleibt der Jahrgang aber sehr aromatisch und tief und komplex. Diese Tannine stammen aus den dicken Schalen der Mitte Oktober geernteten Trauben, eine späte, aber nicht sehr späte Lese. Zudem war die Lese begünstigt durch die markanten Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht, die für die phenolische Reife Trauben so wichtig sind. Sehr förderlich war auch die extreme lange Vegetationsphase bei idealen Bedingungen. Der 2010er vereinigt die ätherische Finnese von 2004, die schiere Kraft von 2006 mit der feinen Säurestruktur von 2008. Die 2010er sind bereits jung mit größem Vergnügen zu trinken, weisen aber auch eine enorme Lagerfähigkeit von leicht 30 Jahren auf.


Hohe Qualitäten - Jahrgang für Jahrgang. Über dem Piemont scheint die Sonne besonders intensiv.

Obwohl tanninbetont, sind die Baroli aber heute nicht mehr erst nach Jahrzehnten der Lagerung trinkbar. Die moderne Vinifikationstechnik ist in der Lage, erstaunlich offene Weine zu produzieren, trotz aller Struktur. Immerhin zeigt sich der Italienspezialist Galloni, der sich Ende 2012 von Robert Parker getrennt hat, in jeder Hinsicht begeistert. Kein Wunder also, dass er gleich dreimal die berühmten 100 Punkte vergibt: an Luciano Sandrones Le Vigne 2010, Viettis Barolo Ravera 2010 und Giacomo Conternos Monfortino. Das ist eine Sensation, wenn man bedenkt, dass von Robert Parker`s Wine Advocate überhaupt erst fünf Weine diese Bewertung bekommen haben, darunter zwei Baroli. Ebenfalls erstaunlich sind die nachfolgenden Bewertungen: ganze 14 Weine erhielten von Galloni 97 oder mehr Punkte. Darunter befinden sich die Weingüter Elio Altare, Roberto Voerzio (3x), Vietti (3x), Luciano Sandrone (2x), Giacomo Conterno, Aldo Conterno, Azelia und Elio Grasso (2x). Insgesamt also sehr hohe Bewertungen für diesen Jahrgang. Viele weitere berühmte Weine liegen nur sehr knapp darunter.

Die Bewertungen von Robert Parker stehen noch aus, doch die zuständige Verkosterin, Monica Larner, hat bereits in die Lobeshymne eingestimmt, andere Verkoster und insbesondere die lokalen Produzenten bestätigen die herausragende Qualität. Eigentlich sind sich also alle einig, wäre da nicht die irritierende Aussage von Bruno Giacosa, der angekündigt hat, den 2010er Jahrgang nicht abzufüllen. Für ihn sei die Qualität nicht ausreichend, stellt er fest. Was verwirrt ist die Tatsache, dass Giacosa auch den Jahrgang 2006 nicht abfüllte, ein ebenfalls als groß betrachtetes Jahr. Das könnte ein Hinweis sein, dass Giacosa's Entscheidung mehr mit seinem Weinstil als mit der Jahrgangsqualität insgesamt zu tun hat.

Dennoch dürfen sich die Verbraucher über eine weitere Region freuen, die in 2010 einen phantastischen Jahrgang hervorgebracht hat. Es wird spannend zu sehen, welche Auswirkungen das auf die Preise haben wird. Sehr gute Baroli kosten heute schon zwischen 50 und 100 Euro, die absolute Spitze liegt bei dem Doppelten, manchmal auch noch darüber. Die Weine kommen im Verlauf des Jahres 2014 auf den Markt, zu einer Zeit, in der Bordeaux einen sehr schlechten Jahrgang en Primeur präsentierte und das Burgund hohe Ernteausfälle der aktuellen Jahrgänge zu verkraften hat. Es gibt aber keinen Zweifel, dass die Barolo-Produzenten diese Situation für substanzielle Preiserhöhungen nutzen warden, viele Angebote überschreiten bereits im Handel die 100 € Marke. Billig sieht anders aus.

Dennoch bleibt festzuhalten: der Jahrgang 2010 war für Barolo und Barbaresco ganz sicher einer der größten der letzten Jahrzehnte.