Castiglioncello, der historische Weinberg des Sassicaia


"Sitzen Sie gut und stabil? Schnallen Sie sich bitte an!" Wir schauen uns fragend an. Wieso? Das merken wir in fünf Minuten, aber unsere beiden Führerinnen wissen genau was vor uns liegt. Eine junge Dame steuert den großen Jeep, einen echten Geländewagen, nicht so einen modernen Straßen-SUV durch das Tor des Geländes um das eher rustikale Verwaltungsgebäude der Tenuta San Guido auf die Cipressa, die berühmte Zypressenallee die von Bolgheri über 5 km schnurgerade Richtung Meer führt. Wir biegen aber sofort wieder ab in die Via Bolgherese, eine kurvige Prachtallee mit wildem Macchia Bewuchs, der die Straße zum grünen Tunnel verwandelt. Macchia heißt der mediterrane Mischwald der Toskana, der ein Naturwunder mit ganz eigener Faszination ist. Rechts und links hinter den Büschen kann man Lichtungen wahrnehmen, die mit Reben bestockt sind. Hier ist alles abgesperrt, ein Abweichen von der Straße unmöglich.

Nur wenige hundert Meter weiter biegen wir links durch ein Tor, das man extra für uns aufgeschlossen hat auf eine Schotterstraße. Sofort öffnet sich der Blick auf große Rebflächen, die in Streifen von Olivenbäumen unterbrochen werden. Da also sind die Rebflächen der Tenuta San Guido, die für den Sassicaia und auch den Guidalberto verwendet werden. Wenn man sich herumdreht kann man den Blick über die Reben bis auf das nahe Meer richten. Es ist so schade, dass Touristen diesen Blick nicht genießen können, denn normalerweise ist hier alles komplett verschlossen. Nach weiteren ca. 400 Metern kommen wir an ein weiteres, sehr stabiles Eisentor. Der per Handy herbeigerufene Weinbergsmanager wartet schon auf uns, schließt auf und lässt uns durch. Direkt hinter dem Jeep schließt er wieder zu. Vor uns liegen 3.000 ha Bergland, davon 1.000 ha mit Macchia bedeckt. Eine praktisch über Jahrzehnte völlig unberührte Natur, in die normalerweise niemand herein kommt.


Das historische Kellereigebäude liegt nur wenige Meter vom Weinberg entfernt. Hier lagerten auch über viele Jahre die alten Flaschen. Erst nach 20 Jahren Sassicaia entschied Marchese Mario Incisa, den Wein zu vermarkten.

Doch da gibt es zwei winzige Ausnahmen: zum Fest der Madonna del Carmine am 16. Juli öffnet Marchese Incisa die Tore für die Bevölkerung. Es warten 6 km eines steilen Schotterwegs und gute 300 Höhenmeter auf die Pilger, die sich diese Strecke sicher nicht antun, um den Weinberg anzusehen. Mehr am Wein als an der Kirche interessiert sind die Teilnehmer der italienischen Sommelier-Vereinigung, die auch einmal im Jahr hier hoch dürfen und sogar gefahren werden. Der Grund für diese sehr restriktive Besuchspolitik liegt nicht nur in der Unzugänglichkeit des Geländes, sondern vor allem darin, dass die Familie diesen Familienschatz bewahrt sehen möchte.

Castiglioncello Bolgheri war im Mittelalter eine Festung und Einsiedelei, zu der die Kirche San Bernardo gehört, die seit dem Jahr 780 verbürgt ist. Durch die exponierte Lage auf 400 m über dem etwa 8 km entfernten Meer kann man von hier perfekt rund 50 km der Tyrrhenischen Küstenlinie kontrollieren, von Elba im Süden bis Livorno im Norden. Im 15. Jahrhundert kam der Besitz in die Hände der Adelsfamilie der Gherardesca, die ihn wieder verlor, später wieder zurück erwarb und bis heute hält. 1930 heiratete Mario Incisa della Rocchetta Clarice della Gherardesca und lies sich mit ihr in Bolgheri nieder. Die Ländereien erstrecken sich von den Bergen über den Ort Bolgheri bis hinunter ans Meer. Noch vor etwas über 100 Jahren allerdings war das Land in der Ebene weitgehend Sumpfland, das die Menschen mit allerlei gefährlichen Krankheiten bedrohte. Weiter oben aber in Richtung Bolgheri, das auf ca. 90 m Seehöhe liegt, wird das Land sehr fruchtbar und eignete sich schon immer sehr gut für intensive Landwirtschaft.


Blick von der Festung aus in Richtung Süden. Der aus dem Meer ragende Berg gehört zur Insel Elba. Das Land bis zum Meer zählt noch zur DOG Bolgheri. Rechts im Bild die Ortschaft Donoratico.

Wenn es auch in der Ebene sehr fruchtbar ist, so traute man sich 1942 eine Pflanzung von Weinreben so nahe am Meer nicht zu. Man war der Meinung, dass das Salzwasser nicht gut für die Reben sei und suchte eine Fläche hoch oben im Berg. Es wurde eine Fläche von ca. 1 ha Macchia-Wald gerodet und mit Cabernet Sauvignon bestockt. Der hellgelbe Boden hier oben ist extrem steinig, felsig, karg und stark kalkhaltig. Die Höhenlage kompensiert die sehr heißen Tagtemperaturen und sorgt für recht frische Nächte. Von Anfang an war die Fläche nur auf den Eigenbedarf der großen Familie ausgelegt. Und das blieb auch so bis 1968, als sich Marchese Mario Incisa und sein Sohn Nicolo entschlossen, den Wein zu vermarkten. Man hatte nämlich über die Jahre festgestellt, dass sich der Wein mit jahrelanger Lagerung immer mehr verfeinerte und an aromatischer Dichte zulegte. Dabei hatte die Entscheidung, eine französische Rebsorte in der Toskana anzubauen, bereits für einigen Wirbel gesorgt, war aber wegen des strikten Eigenverbrauchs nicht anzugreifen. Marchese Mario Incisa wollte den Wein entsprechend der Lage zunächst "Castiglioncello" nennen, entschied sich jedoch kurz darauf, den Namen "Sassicaia" zu verwenden. Übersetzt bedeutet dieses Wort in etwa "steiniges Feld". Heute sind (leider) alle Originalrebstöcke durch Neupflanzungen ersetzt. Verwendet wurden aber hier oben die gleichen Klone wie unten in der Ebene.


Der Castiglioncello Weinberg liegt mitten in einer riesigen Waldfläche auf knapp 400 h Seehöhe mit strikter Südausrichtung. Natürlich hat man bei der Anlage ein perfektes Stück Land ausgewählt.

Wenn man des Castiglioncello sieht, versteht man sofort, dass hier der Schlüssel der außerordentlichen Qualität des Sassicaia liegt. Auch wenn heute die meisten Rebflächen der Tenuta San Guido nahe der Ebene in etwa 100 m Seehöhe liegen, verleiht die Frucht aus dem Castiglioncello dem Wein seinen unverwechselbaren Zauber. Die Höhenlage mit einem deutlich anderen Mikroklima, der völlig unterschiedliche Boden und der großflächige Macchia-Wald um den Weinberg herum verleihen dem Wein seine typische Frische und Eleganz gepaart mit einer verführerischen mediterranen Aromatik nach Zitronenthymian, Salbei und Rosmarin. Im Sassicaia vereinen sich diese Elemente perfekt mit der reifen Fruchtcharakteristik der Trauben aus der Ebene mit seinen fruchtbaren Lehmböden. Zudem kompensiert die Höhenlage die Jahrgangsschwankungen der zumeist heißen Sommer und sorgt für eine erstaunliche Qualitätskonstanz. Man versteht aus dieser Lage auch, warum kein anderes Weingut aus Bolgheri an die Charakteristik des Sassicaia heran kommt, denn kein anderes Weingut verfügt über eine vergleichbare Höhenlage. Einzig Ornellaia hat mit seiner Masseto-Parzelle eine ähnliche Lage, die aber deutlich tiefer liegt und durch Lehmböden charakterisiert ist. Vom Castiglioncello kann man diesen Weinberg gut sehen.

Es gehört zum Mythos des Sassicaia, dass Marchese Nicolo Incisa darauf verzichtet, den Castiglioncello als Single Cru abzufüllen und - wie beim Masseto - zu einem vielfachen Preis zu verkaufen. Für ihn sind die drei Etiketten mit dem Guidalberto und Difese schon fast zu viel. Und so wird hoffentlich noch sehr lange jeder Konsument einer Flasche Sassicaia zumindest etwas von dem Zauber dieser herrlichen Lage erfahren dürfen. Wir inhalieren ein letztes Mal den wunderbaren Duft der uns umgebenden üppigen Vegetation und genießen den grandiosen Ausblick über das Meer bevor wir wieder in den Jeep steigen und uns für die Rückfahrt fest in den Sitz schieben. Souverän steuert unsere Fahrerin den großen Wagen die 6 km langen Serpentinen wieder hinunter. Am Tor wartet bereits der Weinbergsmanager auf uns und lässt uns durch das Tor passieren.


Vom Berg aus hat man auch einen perfekten Blick auf die Weinberge der Tenuta San Guido in der Ebene (Bildmitte). Das Weingut ist als heller Punkt weiter oben direkt an der Zypressenallee gelegen.